Johann Sebastian Bach: Suite Nr.4 in Es- Dur, BWV 1010 für violoncello solo
(1685-1750)
Chunhe Gao: Gengisbach für violoncello solo
(*1959)
Johann Sebastian Bach: Suite Nr.3 in C-Dur, BWV 1009 für violoncello solo
(1685-1750)
„Bach im Spiegel“
Dieses Konzert hat als Programm einen Teil meines Projekts „Bach im Spiegel“, das auf CD erhältlich ist. In meiner Jugend wurde ich zuerst berührt von dem, was wir heute „historisch informierte Aufführungspraxis“ nennen. Dabei prägte mich zunächst die Aufnahme von Heinrich Schiff, die vom grossen Pionier dieser Spielweise, Nikolaus Harnoncourt, sehr lobend erwähnt wurde.
Während des Studiums kniete ich mich in das Problem: Das Studium der Lehrbücher von Quantz, Leopold Mozart und Carl Phillip Emanuel Bach als Sohn des grossen Johann Sebastian, sowie natürlich der Quellenvergleich der vorhanden Abschriften von Bachs Suiten ergaben zunächst vor allem eins: Grosse Konfusion bis hin zur Verzweiflung! Der „Informationsstau“ führte dazu, das ich überhaupt nicht mehr wusste, wie ich denn jetzt zu spielen hatte. Mit Vibrato oder ohne? Wie wichtig ist die Rhetorik der Musik? Klang? Phrasierung?
Zu guter Letzt besann ich mich auf die Bedeutung des Wortes: Interpret!
Nach all diesen, zum Teil sehr widersprüchlichen Informationen musste letztlich ich selber entscheiden. Und zwar mit einem sehr unwissenschaftlichen Kriterium: Mit meinem eigenen Geschmack.
Und so ist das, was Sie hier hören werden also ein Kompromiss:
Mein Cello ist zwar von 1730, aber ich spiele es mit modernen Saiten. Ich spiele die 5. Suite zwar mit „Scordatura“ (die A-Saite wird auf „G“ heruntergestimmt), aber ich habe keinen Barockbogen benutzt…
Immer ist aber der Moment der CD-Aufnahme eine Momentaufnahme. Grade ein so monumentales, zentrales Repertoire reift immer weiter, ein Leben lang. Meine eigenen Interpretationen finde ich manchmal, in aller Unbescheidenheit erlaube ich mir, das zu sagen, nach Jahren immer noch gelungen und schön. Manchmal ist aber auch das Gegenteil der Fall und ich wünsche mir, ich wäre diese oder jene Stelle gewagter angegangen, hätte mehr Extreme ausgelotet, denn es gibt eine alte Regel unter Musizierenden: Was Dich im Kämmerlein berührt, was Du beim Spielen empfindest ist nicht unbedingt das was beim Hörer ankommt! Oft braucht man wirklich übersteigerte Effekte um hervorzurufen, was einen zutiefst bewegt, um es dem Hörer in der selben Weise nahe zu bringen, wie man es in sich empfindet…
Ein Wort sei erlaubt zur „Architektur“ der Suiten und ihrem religiösen Inhalt:
Man muss versuchen, sich in die Menschen der damaligen Zeit hineinzuversetzen. Die Macht, die die Religion und Kirche auf das ganz alltägliche Leben hatten, ist kaum zu überschätzen. Noch dazu hat Bach ja hauptsächlich religiöse Werke geschrieben, war also der religiösen Gefühlswelt, der Bibel oder dem Leidensweg Jesu ständig und immer wieder nahe. Es spricht für seine demutsvolle Haltung im christlichen Sinne, das er unter alle (!) seine Werke zumindest in abgekürzter Form das „Solo Dei Gloria“, das „Gott allein sei die Ehre“ setzt! Man überlege: Zu Bachs Zeit hat bekanntlich ein europaweiter, verheerender Krieg gewütet, der 30 Jahre dauerte. Dazu gab es Pandemien wie die Pest. All diese Einflüsse führten dazu, das das diesseitige Leben, das Leben vor dem Tod den berühmten Begriff „Jammertal“ erhielt. Das weiter unten zitierte Gedicht ist ein Schlüssel zu dieser Gedankenwelt.
Für mich persönlich steht ausser Frage, das die 6 Suiten Bachs für Violoncello eine klare Struktur, eine Architektur in ihrer Anlage haben. Es kann kein Zufall sein, das die vorletzte, fünfte Suite in c-moll steht, einer der düstersten, oft mit dem Tod assoziierten Tonart, und danach, der jubelnde Anfang, der gleichsam swingende 12/8 Takt des Préludes der sechsten Suite in D-Dur losjauchzt wie das Halleluja von Händel! Das ist eine Auferstehung, eine Erlösung wie man sie mit Worten nicht deutlicher hätte ausdrücken können!
Die Sarabande gehört historisch gesehen zu den vier Kernsätzen einer Suite. (Allemande, Courante Sarabande, Gigue). In der fünften Suite ist die Sarabande nur noch ein „Skelett von Musik“, sie besteht eigentlich nur noch aus schlicht aneinander gereihten Vorhalten. Und doch ist die Intensität des Ausdrucks unerreicht, man sieht förmlich den Gekreuzigten vor sich, wenn man sich diese Musik anhört…
Als Einleitung einer Suite wurde oft eine Improvisation gespielt. Diese Einleitung entwickelte sich im Verlauf des Barock zum auskomponierten Prélude. Deswegen, und da dem Prelude als einzigem Satz der Suite kein Tanz zu Grunde liegt, erlaube ich mir hier die grössten Freiheiten.
Ich hoffe, das meine Interpretation bei Ihnen dieselben Gefühle hervorrufen kann, die ich beim langen Studium dieser Werke empfinden durfte.
Felix Vogelsang, Violoncello
Andreas Gryphius, Es ist alles eitel, 1637
Du sihst/ wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was dieser heute baut/ reist jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn/ wird eine Wiesen seyn/
Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.
Was itzund prächtig blüht/ sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein/
Nichts ist/ das ewig sey/ kein Ertz/ kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück vns an/ bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit/ der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß/ was wir vor köstlich achten/
Als schlechte Nichtigkeit/ als Schatten/ Staub vnd Wind;
Als eine Wiesen-Blum/ die man nicht wider find’t.
Noch wil was ewig ist/ kein einig Mensch betrachten!